Allgemein Gedanken einer Mama

Entzugserscheinungen

11. Mai 2015

EntzugStehe um 6.30 Uhr auf und kann nicht im entferntesten daran denken, dass das ab August meine neue Zeit sein soll. Gähne. Kind schläft dicht an mich gekuschelt und ich entknote ihre Gliedmaßen und stehle mich still und leise aus dem Zimmer. Der Blick in den Spiegel verrät nichts gutes: Camouflage rettet alles. Habe heute zwei wichtige Termine und muss dafür in die große Stadt. Papa wird das Kind fertig machen und in die Kita bringen. Packe alles zusammen und sitze im Auto. Schaue wehmütig in das Fenster vom Kinderzimmer. Vermisse das Kind – und fahre los. Das Radio holt mich in die Stau-Realität zurück, die ich die letzten zwei Jahre erfolgreich ausblenden konnte. Stehe ewig, überall, irgendwo und bin genervt. Fluche, hupe, schreie herum, Puls 300. Wie früher eben.

Termin eins ist rum, da düse ich auch schon weiter. An die Spree. Zur Arbeit. Klingt komisch. Ist aber so. Heute war mein Wiedereinstiegsgespräch. Nach über zwei Jahren Abwesenheit. Parke das Auto und starre auf mein Handy. Vermisse das Kind, gucke mir auf dem Weg ins Gebäude Videos und Bilder an. Brauche Kindlein-Input, fühle mich wie ein Junkie auf kaltem Entzug. Betrete das Gebäude – es fühlt sich seltsam an und doch als wäre nix gewesen. Alles wie früher. Eine Ausnahme: oben angekommen wird schnell klar, dass nur noch ein Bruchteil der Leute da ist, die ich kenne. So ist das im Online-Bereich: alle ein bis zwei Jahre wechselt man eigentlich. Was solls. Ein paar Felse in der Brandung sind noch da und werden eifrig begrüßt. Werde nach dem Nachwuchs gefragt und nutze die Gelegenheit Bilder zu zeigen um meinen eigenen Kind-Hunger zu stillen.

Es folgen die obligatorischen Sätze „is die süß“ und so weiter und so fort. Unterhalte mich seltsamerweise erst einmal nur übers Kind – Arbeit ist im Hintergrund. Dann Gespräch mit der HR und neuer Chefin. Neue Ideen zu meinem zukünftigen Einsatz werden jongliert. Ich mag was ich höre. 30 Stunden sind machbar. Das Kindlein wird dann so gegen 15.30 Uhr aus der Kita abgeholt. Meine Gedanken schweifen ab… Kindlein, Äffchen, meine Mausi. Um 14.30 Uhr sitze ich immer noch dort und weiß, dass der Papa nun die kleine Maus im Kindergarten einsammelt – was, wie er später berichtet, ganze 45 Minuten dauert. Sie will noch rutschen. Oft. Es kommen mehr Kinder. Sie wollen alle zusammen rutschen. Irgendwann schaffen sie es wohl. Papa schickt ein Selfie vom Eisladen. Kindlein grinst in die Kamera, in der Hand ein Softeis. Erdbeer-Vanille. Bin auf dem Weg zurück zum Auto. Zu Fuß. Unterwegs streiten sich eine Gruppe junger Mädels mit einer Mittdreißigerin. Es fallen viele Synonyme für „Prostituierte“. Habe diese Stadt kein bisschen vermisst. Definitiv.

Ich habe derweil Kopfschmerzen und stehe anschließend im nächsten Stau. Will nach Hause. Schaue wieder Videos und Fotos vom Kindlein an, während ich mich entnervt durch die Blechkaravane schiebe. Gott, wenn es eines gibt, was ich nicht vermisst habe, dann das!

Fahre die letzten Meter mit klopfendem Herz im ganzen Körper. Erblicke den Rucksack, der am Türknauf klemmt. Also sind sie noch draußen. Fahre weiter und entdecke meine zwei Schätze auf dem Trampolin. Kindlein entdeckt mich. Ich – am Rande des Nervenzusammenbruchs nach so vielen Stunden ohne das Kind. Erkenne noch durch die Scheibe wie sie „Hallo Mama“ ruft. Will mir auf der Stelle eine dicke Portion Umarmung abholen. Tür auf, raus. „Hallo Mama, hallo Mama, hallo Mama.“ Raste völlig aus und stürme zum Trampolin. „Mama hoch!“ aber gerne doch! Reißverschluss auf, rauf, Kind geschnappt, abgeknutscht. Kind genervt. Mir egal! Sie windet sich, wehrt sich gegen meine feuchten Küsse. Ich lasse sie, kurz. Fünf Minuten später kuscheln wir erst einmal ausgiebig. Akku Kindlein erfolgreich aufgeladen! Gute Nacht :*

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