Ich gebe zu: ich habe sie. Oft. Vorurteile gegenüber anderen Mamas und Menschen im Allgemeinen. Wunschkaiserschnitte wollen nicht in meinen Kopf und die „ich greife lieber freiwillig zur Flasche“-Mamas sind nix, mit dem ich mich identifizieren kann. Aber so ist das eben mit Kindern.. jeder macht es irgendwie anders. Es fällt mir dennoch schwer, andere Sichtweisen zu akzeptieren und manchmal nicht völlig entrüstet „waaaaas?“ zu schreien. Geht Euch das auch manchmal so? Das ihr nur den Kopf schütteln möchtet? Je länger ich jedoch Mama bin, umso mehr muss ich mich damit abfinden… das andere Menschen andere Wege gehen.
Aber um mal ein persönliches Beispiel zum Thema Vorurteile zu nennen: ich habe mich viele Jahre über Leute lustig gemacht, die in Kaufhäusern und an total wolkenverhangenen Tagen mit Sonnenbrille umher gerannt sind. Mein erster Gedanke: immer diese Idioten, die so obercool tun müssen… Poser, Angeber, Deppen! Auf einige traf das vielleicht zu… Aber: irgendwann sah ich im Fernsehen eine Doku über ein Mädchen, welches nahezu komplett erblindet ist und daher eine verdunkelte Brille aus gesundheitlichen Gründen tragen muss. Ich schämte mich. Für mich, meine Einstellung, meine Vorurteile. Und dann wurde ich Mama. Und alles wurde noch viel schlimmer. Ich gebe zu: ich bin grundsätzlich ein Mensch, der ziemlich überzeugt ist von seiner Meinung und seinem Vorhaben – es sei denn.. tja… mich vom Gegenteil zu überzeugen ist mächtig schwer. Aber mit Kind kommt man nicht drum herum Entscheidungen und Ideen zu überdenken um letztlich vielleicht doch alles anders zu machen, als man es sich vorgenommen hat. Ich hatte hier schon mal zu dem Thema geschrieben.
Nichts desto trotz hatte und habe ich natürlich Vorurteile, die da so in meinem Köpfchen umherschwirren. Mutter mit brüllendem Kind im Kaufhaus? Ja muss die denn auch schon mit so nem kleinen Würmchen in die Reizüberflutungshölle? Das sie aber vielleicht dringend Windeln brauchte, alleinerziehend ist und daher keine Hilfe hat… tja.. man weiß es nicht. Und genau aus diesem Grund kann man nicht urteilen. Zumindest nicht vorschnell. Auf der anderen Seite gibt es natürlich Mütter die ihr Kind kontrolliert schreien lassen und sich auch sonst nicht genug kümmern. Aber das ist ja nicht das Thema. Ich habe eine Menge Kopfvorurteile und mache mir viele Gedanken dazu. Beispiel?
Eine Mama die ihrem Kind die Flasche gibt…
- hat vielleicht vorher abgepumpt und gibt so die Muttermilch
- kann vielleicht nicht stillen, weil sie Medikamente nehmen muss
- muss vielleicht zufüttern, da sie trotz allen Versuchen nicht genug Milch hat
Eine Mama, die ihr Kind schief und krumm im Tragetuch vor sich trägt…
- übt vielleicht noch das Binden und hatte einen schlechten Tag
- war froh, dass brüllende Kind (egal wie) in das Tuch zu bekommen
- hat ein Zappelkind, welches jede noch so feste Wickelweise zerstört
Ich erinnere mich noch an meine ersten Versuche ohne die Hilfe meiner Hebamme… ich weiß noch, dass an diesem Tag der Kamin im Wohnzimmer vor sich hin flackerte und in mir mehr als einmal der Wunsch aufkeimte, das verdammte blöde (ich zitiere mich) „Drecksscheisstuch“ dort hinein zu werfen. Solle es doch Feuer lodern *muahaha* Nun.. ich war jedenfalls gerade zu Beginn oft mit einem krumm und schief gebundenem Tuch spazieren. Die Zeit richtete dann alles und mit jedem Tag kam ich besser zurecht.
Eine Mama, die ihrem Kind Gläschen füttert…
- ist froh, da es das Einzige ist, was ihr Kind zu sich nimmt
- hatte keine Zeit selbst zu kochen, da sie ein high need Kind hat, was vorzugsweise stundenlang schreit
Hierzu noch eine persönliche Anekdote: unser Kindlein ist ja bis heute eine der schlechtesten Esserinnen der Welt. Auf jeden Fall war ich eines Tages so fertig mit meinen Essensnerven, dass ich zum dm gefahren bin und so ungefähr jedes Gläschen was da so rumstand in den Wagen geschmettert habe. Zufällig begegnete ich einer Mami, die ich aus dem Schwangerschaftsyoga kannte. Argwöhnisch schielte sie in meinen Wagen und schien die Nase zu rümpfen, was mir wahrlich nicht entging. Ich sah aus wie eine Mutter die unfähig ist ihrem Kind eine gesunde Mahlzeit zuzubereiten. Ich sah mich in eine Ecke gedrängt und holte auch sofort zum Rundumschlag in Sachen Erklärungen aus. Ich erzählte ihr unseren Leidensweg in Sachen Nahrungsaufnahme und das gerade alles wie ein Kartenhaus zusammen bricht und ich keinen Ausweg mehr sehe und daher Brei probiere. Sie grinste nur. Und ich fühlte mich nach der Erklärung auch nicht wirklich besser.
Eine Mama, die ihr brüllendes Kind nicht beruhigen kann..
- kann es in diesem Moment einfach nicht beruhigen, weil sich das Kleine nicht beruhigen lässt! Punkt.
- hat vielleicht 24 Stunden nicht geschlafen und gibt sich trotzdem alle Mühe…
Dabei helfen übrigens weder argwöhnische Blicke ergrauter Damen noch bissige Kommentare von anderen Müttern! Bevor ich überhaupt schwanger war hatte ich mal eine Begegnung mit einer Mama und ihrem Säugling in der S-Bahn. Das Kind brüllte wie am Spieß, der Frau standen die Schweißperlen auf der Stirn. Es war ihr sichtlich unangenehm, doch egal was sie tat: das kleine Menschlein ließ sich nicht beruhigen. Sie tat mir leid, tuschelten die Leute doch schon um sie herum. Doch was konnte ich tun? Ich warf ihr einen Du-schaffst-das-schon-Blick zu, doch ich bekam nur einen Du-hast-doch-keine-Ahnung-Aufschlag zurück.
Im Grunde genommen kann ich diese Liste endlos weiter führen…
- Eine Mama, die ihrem Kind einen Schnuller gibt…
- Eine Mama, die ihrem Säugling erlaubt, auf dem Bauch zu schlafen…
- Eine Mama, die ihr Baby bei sich schlafen lässt…
- Eine Mama, die ein Nestchen ins Bettchen packt
- …
Mit der Zeit habe ich meine Vorurteile – die übrigens immer nur in meinem Kopf umherspukten – sein lassen. Bringt ja nix. Jeder geht seinen Weg, ob er der Richtige ist, sei mal dahin gestellt. Für viele Dinge gibt es einen Mittelweg, es muss ja nicht nur das eine oder das andere Extrem sein. Man muss ja auch nicht missionieren oder so. Denn: jedes Kind ist genauso unterschiedlich, wie wir Eltern es sind.